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Worum es hier wirklich geht

Ich sitze gerade in einem Starbucks im Flughafen von Lima. Es ist 02:54 Uhr morgens und ich bin hellwach. Mein Anschlussflug nach Pucallpa hat Verspätung und wird erst um 09:30 abfliegen. Scheiss Situation, richtig? Falsch.Ich weiss nicht so genau was mich befallen hat, aber ich bin gerade so glücklich genau jetzt genau hier zu sein. Hier zu sein bedeutet, dass ich immer noch reise. Nach 559 Tagen bin ich immer noch unterwegs.

Vor ein paar Stunden bin ich hier angekommen, habe meine restlichen Pesos zu einem miserablen Kurs gegen Soles getauscht, bin zum Food Court gewandert und habe mir ein Sandwich geholt. Da erkannte ich das gelbe Logo mit blauem Schriftzug: Inca Kola. Das hatte ich total vergessen! Der Geschmack ist total komisch und die meisten Touristen finden es eklig. Ich liebe es!

Also bestellte ich mir einen grossen Becher Inca Kola zu meinem Sandwich, was wahrscheinlich mitverantwortlich ist, wieso ich gerade so wach bin. Danach lief ich ein bisschen umher, schaute mir die vielen Leute an die überall auf dem Boden liegen und zu schlafen versuchten. Ich entdeckte eine Terrasse, wo ich ein wenig frische, feuchte, peruanische Luft schnappte.

Frische Luft (Santiago)

Frische Luft (Santiago)

Schliesslich setzte ich mich in einen Starbucks und verband mich mit dem WiFi. In der Schweiz hatte der Tag gerade begonnen, einer nach dem anderen kamen sie alle online: Eltern, Freunde, Arbeitskollegen.

Nun höre ich mir zum siebten Mal dasselbe Lied an, schreibe diesen Beitrag und fixe nebenbei ein paar Bugs in meinem neuesten Arbeitsprojekt.

Es ist ja nicht so, dass ich mich freiwillig morgens um 03:22 in einen Flughafen setze um mittelmässigen Kaffee zu schlürfen. Nachts zu fliegen ist einfach oft die günstigste Möglichkeit. Und ich bin ja erst zwanzig, da kann ich so Zeug noch machen.

Flughafen Santiago

Flughafen Santiago

Ein grosser Teil warum ich gerade so happy bin sind sicher auch die letzten paar Monate in Chile und Argentinien. Reisen bedeutet für mich oft auch alleine zu sein, womit ich meist kein Problem habe. Doch für die letzten etwa eineinhalb Monate hatte ich durchgehend Gesellschaft und habe einige der besten Reisekollegen gemacht, die ich je hatte.

Da waren die vielen Leute in Pucón, mit welchen ich so viel unternommen habe, dann traf ich mich in Puerto Varas zum ersten Mal mit einem anderen Digitalen Nomaden, den ich über Reddit kennengelernt hatte.

Schliesslich flog ich nach Punta Arenas, wo ich den Venezolaner kennenlernte, der aus seinem Land geflüchtet ist. Ich habe ihn schon in meinem letzten Beitrag erwähnt, doch habe ich nie berichtet wie viel weiter unsere Freundschaft ging als die meisten Reisebekanntschaften.

Freundschaft

Freundschaft

Seit ich ihn kennenlernte haben wir praktisch täglich geredet. Ich habe mitverfolgt wie er in in der ganzen Stadt Bewerbungen verteilte und schliesslich in einem Hotel einen Job fand. Er erzählte mir wie er nach Chile kam und nicht in die USA ging, wo er Diskriminierung erwartete und mit dem neuen Präsidenten Deportation befürchtete. Ich bekam mit wie das mit der Immigration in Chile abläuft und wie er Angst hat in fünf Jahren nach Venezuela zurückkehren zu müssen weil er seine ID verloren hat und sein Pass ablaufen wird. Er will nie zurück. Er hat noch nie Schnee gesehen und freut sich wahnsinnig darauf. Ein Notebook und eine DSLR-Kamera gehören zu seinen wertvollsten Besitztümern. Er brachte mir bei wie ich bessere Bilder schiessen kann, worauf ich mich achten soll und entfesselte so ein neues Hobby in mir.

Ein neues Hobby

Ein neues Hobby

Punta Arenas ist keine schöne Stadt, es ist kalt und windig und es gibt nicht viel zu tun, doch wir liefen einfach umher und redeten den ganzen Tag. Ich traf ihn als ich in Punta Arenas ankam und erneut als ich meinen Flug von Punta Arenas zurück in die Zivilisation nahm. Beide Male verbrachten wir zwei Tage nahezu 100% zusammen.

Ich komme gerade aus Santiago, eine meiner Lieblingsstädte, wo ich eine Woche verbrachte. Die ganze Zeit über war es um die 37°C. Ich traf mich mit einer Mexikanerin, welche ich vor fast einem Jahr in Mérida in Mexiko getroffen hatte. Wir haben uns da kaum kennengelernt und nur für etwa eine Stunde geredet. Doch wir haben Facebook ausgetauscht und nun haben wir uns in Santiago wiedergefunden. Sie lebt da für einige Monate. Was sie arbeitet habe ich nie ganz verstanden, es hat irgendwas mit Business Development, Veranstaltungsmanagement und Politik zu tun. Und Indien. Jedenfalls hat ihre Firma sie nach Santiago verlegt. Sie arbeitet ausserdem als Freiwillige für Amnesty International und ist ebenfalls begeisterte Fotografin.

Auf Erkundungstour

Auf Erkundungstour

Zusammen mit ihr erkundete ich die vielen Ecken von Santiago, die Parks und Nachbarschaften welche ich noch nicht von meinem letzten Besuch kannte. An einem Sommerabend erklommen wir den Cerro San Cristóbal und beobachteten wie die Sonne eine Stunde zu früh in einer dichten, braunen Smogwolke unterging. Eigentlich gibt es in Santiago im Sommer nicht so viel Smog, doch irgendwo in der Nähe gab es einen riesigen Waldbrand und für die nächsten paar Tage konnten wir keine fünf Kilometer weit mehr sehen. Einmal regnete es sogar Asche.

Der deprimierenste Sonnenuntergang aller Zeiten

Der deprimierenste Sonnenuntergang aller Zeiten

Wenn ich nicht mit ihr unterwegs war lief ich selber umher um Bilder zu schiessen, welche ich dann vom Venezolaner kritisieren liess. Oder ich arbeitete unter einem Sonnenschirm auf der Dachterrasse des Hostels.

Und nun sitze ich hier im Flughafen von Lima, Nachts um 04:02 Uhr, höre mir zum einundzwanzigsten mal dasselbe Lied an während ich auf die letzten paar Wochen und Monate zurückschaue und wieder einmal feststelle, dass die Leute die ich unterwegs treffe viel spannender sind als alle Attraktionen der Welt.

Du kannst dir hunderte von Gletscher und Berge, Wolkenkratzer ud Museen, Wasserfälle, Weltwunder, Lamas, Strände und Vulkane anschauen, doch was dich schlussendlich prägt und als Mensch verändert, dich zum denken bringt und wachsen lässt sind die Leute auf dem Weg zu diesen Attraktionen.

Eine Schaukel

Eine Schaukel

Und deshalb bin ich im Moment so happy, obwohl es 04:08 Uhr morgens ist und ich angepisst auf meinen Flug warten müsste: Weil ich es jetzt gerade spüre. Ich denke über diese Menschen nach und bin so glücklich dass ich sie getroffen habe. Ich weiss dass sie mich verändert haben und ich weiss dass ich mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens an sie erinnern werde.

Mit beiden habe ich Pläne mich wieder zu treffen. Die Mexikanerin kehrt nächste Woche nach Mexiko City zurück wo ich sie wahrscheinlich in einem Monat oder so besuchen werde. Beim Venezolaner ist es ein wenig komplizierter. Er wird wahrscheinlich noch fast ein Jahr in Punta Arenas bleiben und dann nach Santiago ziehen. Ich habe keine Absicht in absehbarer Zukunft nach Chile zurückzukehren, doch ich liebe Santiago und früher oder später wird es mich wieder da hinziehen, da bin ich mir sicher.

Schlösser

Schlösser

Nachtrag (05:04 Uhr): Dieser Beitrag kam ganz spontan zu mir, ich habe den ganzen Text auf einmal geschrieben und nicht geplant, deshalb passen die meisten Bilder auch nicht zum Thema. Die Bilder die ich zu diesem Beitrag hochgeladen habe sind einige der Besten, die ich geschossen habe seit ich mich darauf konzentriere überhaupt gute Bilder zu schiessen.

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