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Mit dem Fahrrad nach Genf – Teil 2: Je suis touriste!

Als ich so da sass, vor dem Tor von Estavayer-le-Lac und zum dritten Mal die Augen wieder öffnete nachdem ich eingedöst war, tauchte eine rund sechzigjährige Frau auf, die irgendwas französisches brabbelte. Ich hätte mich wohl irgendwie verständigen können aber ich war zu erschöpft um mich anzustrengen also sagte ich einfach „Deutsch, bitte“.

„Aaah“, machte die Frau, „Müde?“

Ich lachte und antwortete „Ja!“

Die Frau ging weiter, ich blieb sitzen. Nach weiteren zehn Minuten stand ich dann auf und schleppte mich zum nächsten Laden, das Fahrrad neben mir herschiebend. Ich kaufte mir was zu trinken und eine Glace. Danach fand ich sowas wie einen Aussichtspunkt, wo ich den Neuenburgersee zum ersten Mal sah. Als ich mich etwas erholt hatte fuhr ich weiter, nun langsamer. Zwar führte mein Weg nicht am Ufer entlang, dafür durch Wald, was viel Schatten und eine etwas angenehmere Temperatur mit sich brachte.

Seesicht und Sandstrand

So gelang ich nach etwas mehr als einer Stunde nach Yverdon-les-Bains. Auf dem Campingplatz angekommen wurde mir ein Platz mit Seesicht zugeteilt, super!

Der Neuenburgersee vom Camping aus

Der Neuenburgersee vom Camping aus

Ich ging ins Zentrum der Stadt um etwas zu Essen zu besorgen und um mir Yverdon ein wenig anzuschauen und entdeckte dabei die schöne Altstadt Yverdons. Später fuhr ich zurück zum Camping, der auch gleich über eine Brücke mit einem öffentlichen Sandstrand verbunden war. Der Strand war so flach, man kann etwa fünfzig Meter ins Wasser laufen, bevor es zu hoch zum stehen wird. Zudem war das Wasser gegenüber der Aare angenehm warm. Nachdem ich baden war sass ich noch eine Weile am Ufer und beobachtete die Schwäne und Enten. Irgendwann wurde der Himmel immer dunkler, nicht nur wegen der Dämmerung, nein, es zogen von Süden her auch schwarze Wolken auf.

Irgendwo in Yverdon

Irgendwo in Yverdon

Der Sturm

Ich verzog mich in mein Zelt und kurz darauf begann es heftig zu Winden. Zuerst hoffte ich, dass es nicht zu regnen beginnt, weil ich das Zelt nächsten Morgen nicht trocknen wollte. Doch als es immer stärker windete hoffte ich nur noch, dass es mein Zelt nicht zusammenlegte und dass mein Fahrrad, das gleich vor dem Zelt stand, nicht aufs Zelt fällt. Irgendwann hörte der Wind auf und es begann zu regnen, da war ich erleichtert. Lieber ein nasses Zelt als ein zusammengefaltetes Zelt, dachte ich mir. Der Regen war laut, doch ich schlief trotzdem ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich um sieben Uhr. Wie erwartet war das Zelt nass, doch die Sonne ging gerade auf. In der Hoffnung, dass die Sonne das Problem für mich erledigen würde fuhr ich nach Yverdon wo ich gemütlich am Ufer zu Morgen ass. Als ich zum Zelt zurückkehrte, um etwa acht Uhr, war es merklich trockener, jedoch immer noch zu nass um es einzupacken. Ich hatte aber keine Zeit mehr, schliesslich hatte ich heute noch die längste Strecke meiner Tour vor mir. Also trocknete ich das Zelt notdürftig mit meinem Badetuch ab und packte es ein. Um halb neun fuhr ich dann endlich los, in Richtung Genf.

101km bis Genf

101km bis Genf

101km

Kurz darauf fand ich einen Velowegweiser. Darauf stand: Genève, 101km. Bisher war ich immer nur zwischen achtzig und neunzig Kilometer pro Tag gefahren. Ich folgte also der Veloweg Nr. 50: Route du Pied du Jura, also der Jurasüdfuss-Route, wobei ich bald merkte dass „fuss“ dabei ein relativer Begriff ist. Zuerst ging es aber mal geradeaus bis nach Orbe. Wie schon am Tag zuvor hatte es rundherum Felder: Rapsfelder und Weizenfelder, Weizenfelder und Mohnfelder mit den roten Blumen.

Auf dem Weg nach Orbe

Auf dem Weg nach Orbe

Doch heute kamen auch immer wieder kleine, Schatten spendende Wäldchen hinzu. Nach Orbe begann der Weg zu steigen bis nach Romainmôtier-Envy, wo ich über Moiry und Cuarnens nach L’Isle gelang. Da war schon Mittag und ich hatte erst etwa einen Viertel der Strecke zurückgelegt. Schon da überlegte ich mir, ob ich nicht nach Morges fahren soll und von da am Ufer entlang nach Genf. Doch liess man Höhenunterschiede mal beiseite war die Strecke bisher sehr schön. Also folgte ich weiter der Nr. 50 zum 100 Meter höher liegende Montricher, dann lange geradeaus bis nach Bière, das ich mir grösser vorgestellt habe, weil es auf der Karte so gross angeschrieben war. Weiter, nun wieder leicht steigend, gelang ich nach Gimel, wo mir langsam die Puste ausging.

Perfekt zum Fahrrad fahren

Ein Auto pro Stunde

101km!

Es war etwa drei Uhr und ich hielt gerade meine beiden Arme in einen Brunnen mit eiskaltem Wasser, als ein weiterer Radfahrer mit seinem Rennrad neben dem Brunnen hielt. Er sprach mich auf Französisch an, was ich nicht verstand und daher auf Deutsch antwortete, was er wiederum nicht verstand. Schliesslich einigten wir uns auf Englisch. Er fragte woher ich komme und was mein Ziel sei und erzählte mir dass er hier in der Gegend wohne und viel mit dem Fahrrad unterwegs sei. Schliesslich fragte ich ihn ob er mir empfehle weiter der 50 zu folgen oder von hier aus an den Genfersee und daran entlang nach Genf zu fahren. Er erklärte mir, dass er weiter am Hang entlang fahren und dann bei Burtigny (das buchstabierte er drei Mal) zum See abzweigen würde. „Much nicer“, sagte er, „No cars“. Ich fragte ihn ob das nicht viel bergauf gehe und er antwortete „Not so much“. Schliesslich verabschiedete er sich mit einem „Have a nice Trip!“, sprang auf sein Rennrad und düste davon.

Erster Blick auf den Genfersee

Erster Blick auf den Genfersee

Ich folgte seinem Rat und es ging bergauf, eigentlich die ganze Strecke. Eigentlich dachte ich Escholzmatt mit 858 m. ü. M. vor zwei Tagen sei mein höchster Punkt gewesen, doch irgendwann gelang ich nach Longirod, 880 m. ü. M., wo ich endlich Richtung See abbiegen konnte. Es ging abwärts und abwärts, sicher zwanzig Minuten und das bei halsbrecherischer Geschwindigkeit. Über Burtigny und Begnins gelang ich so nach Gland, wo Samstags um Viertel nach fünf zum Glück noch ein Laden offen hatte um was zu Trinken zu kaufen. Von nun an war endlich alles flach, aber mit „no cars“ war fertig. An der Hauptstrasse fuhr ich die letzten 30km an Nyon und Coppet und Versoix vorbei bis nach Genf, wo ich um sieben Uhr ankam.

Das Ende einer Geschichte

Eigentlich war geplant heute noch bis zum etwa 15km entfernte Collonge-Bellerive zu fahren, wo es einen Camping hat und Genf am folgenden Tag anzuschauen. Doch ich war total gerädert und von Süden her zogen Sturmwolken auf. Ich hätte mir Genf gerne noch angeschaut, doch bei Regen hatte ich keine Lust dazu und ich wollte auch nicht erst um drei Uhr Morgens zu Hause ankommen. Also ass ich was, ging zum Bahnhof, löste ein Ticket und sass auch schon im Zug. Dieser fuhr immer weiter nördlich, während uns der Sturm verfolgte. Zusammen mit der Untergehenden Sonne war das schon ein Spektakel.

Sonnenuntergang beim Neuenburgersee

Sonnenuntergang beim Neuenburgersee

Während der Fahrt lass ich auf meinem Tablet, dessen Akku erstaunlicherweise immer noch bei 40% war Ein Lied von Eis und Feuer. Lausanne, Yverdon, Neuenburg, Bern, Olten, Zofingen und schon war ich in Sursee. Es regnete, als ich umstieg in die S18 nach Sempach-Neuenkirch. Diese S18 fuhr ich nun seit vier Jahren ein bis zwei Mal pro Woche um zur Berufsschule zu gelangen, doch nun schien sie mir ungewohnt und fremd, was wohl an der nächtlichen Atmosphäre und meinem komplett anderen physischen und psychischen Zustand zuzuschreiben war. Am Bahnhof in Neuenkirch angekommen fuhr ich den letzten Kilometer des Tages bis zu meinem Zuhause, wo ich kurz vor Mitternacht ankam.

Ich entlud mein Fahrrad und wollte nur noch duschen gehen und mindestens zwölf Stunden schlafen, was ich dann auch tat.

Mehr schöne Bilder zum gesamten Ausflug auf Flickr!

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