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Woher mein Fernweh kam

Fernweh ist manchmal schön, oft aber auch lästig. Manchmal wirft es mich wochenlang in ein tiefes Loch, doch ich möchte es nicht missen, denn es treibt mich an  und gibt mir Kraft. In diesem Beitrag versuche ich zu erklären woher es kam und was für Auswirkungen es bisher auf mich und mein Leben hatte.

Das hier ist ein sehr persönlicher Beitrag und auch wenn du mich gut kennst wird das Meiste für dich neu sein, denn ich habe über vieles noch nie gesprochen oder geschrieben. Wieso jetzt? Keine Ahnung! Das ist alles schon eine Weile her und ich bin in den letzten zwei, drei Jahren auch offener geworden, denke ich. Von daher: Viel Spass beim Lesen!

Der Keim

Alles begann vor ziemlich genau acht Jahren. Damals war ich 10. Es war an einem wunderschönen Sommerabend kurz vor den Sommerferien. Ich war mit ein paar Schulkameraden auf einer Kinderparty bei einem abgelegenen Bauernhof, umgeben von Feldern und Wald. Irgendjemand hatte Geburtstag, glaube ich. Es gab eine grosse Spielwiese und auch verschiedene Tiere, allen voran die süssen Kätzchen, erst ein paar Monate alt. Ein Trampolin stand neben einem mächtigen Baum. Wir spielten den ganzen Abend lang, vor allem das Trampolin war beliebt.

Ich 2007 in Spanien

Ich 2007 in Spanien

Ich weiss noch, dass ich irgendwann ab dem Trampolin gefallen bin. Mir war nichts passiert, doch ich hatte keine Lust mehr. Also kletterte ich auf den Baum neben dem Trampolin. Eine provisorische Leiter führte in ein Baumhaus ganz nach oben, doch ich stieg nur halb rauf, bis zu einem dicken Ast, worauf ich mich setzte. Von hier oben aus hatte ich eine wunderschöne Aussicht über die Felder und den nahen Wald. Die Sonne war bereits untergegangen doch der Schein der Sonne erhellte noch immer den Himmel. Von unten drang das Geschrei der Kinder zu mir hoch.

Damals hatte es keiner bemerkt, aber das war für mich der perfekte Moment. Ich hatte keine einzige Sorge, kein einziges Problem. Mir war angenehm warm und ich hatte gerade erst gegessen. Ich hatte den ganzen Abend lang Spass und war umgeben von Freunden. Es gab nichts zu tun und niemand wollte irgendetwas von mir.

Ich sass einfach da, auf diesem Ast und war glücklich in jeder Hinsicht.

Calafell in Spanien 2007

Calafell in Spanien 2007

Der Augenblick dauerte nur etwa fünf Minuten. Da bemerkte ich, dass alle Kinder vom Trampolin wegrannten. Es gab Eiscreme. Als es vorbei war wusste ich irgendwie, dass ich sowas lange nicht mehr erleben würde, vielleicht nie wieder. Doch ich wusste auch dass ich mich immer daran erinnern würde.

Was hat das jetzt mit Fernweh zu tun?, fragst du dich. Ich glaube in diesem einen Augenblick hat sich ein wesentlicher Teil meines Charakters gebildet. Von da an begann ich mich zu verändern. Es wurde ein Prozess ausgelöst, der bis heute anhält und vielleicht nie aufhören wird. Und auch wenn es noch über fünf Jahre dauerte, bis es wirklich ausbrach, glaube ich, dass das der Moment war, an dem das Fernweh erstmals zu mir kam.

Der Ausbruch

Fünfeinhalb Jahre später, im Herbst 2011 hatte ich gerade mit meiner Lehre als Systemtechniker angefangen. Mir gefiel es schon da nicht wirklich, aber es war OK. Ich wusste noch nicht, dass ich einmal viel reisen wollte. Ich wusste generell noch nicht wirklich, was ich wollte, was mir sehr zu schaffen machte.

Ich auf einer Wanderung 2011

Ich auf einer Wanderung 2011

An einem Samstagabend hatten meine Eltern ein befreundetes Ehepaar um die sechzig eingeladen. Ich kannte sie nicht, aber sie waren freundlich und gesprächig. Während wir Fondue assen redeten wir über dies und das, ich hörte hauptsächlich zu. Irgendwann fiel das Thema aufs Reisen.

Das Ehepaar erzählte dass sie vor ein paar Jahren einige Wochen im Himalaya herumgewandert seien und wie schön und abenteuerlich das war. Sie sagten auch, dass sie schon immer viel gereist seien, in den letzten Jahren aber nicht mehr so viel. Sie würden sich bald pensionieren lassen und dann wieder mehr reisen.

Ich war begeistert. Mein Leben bestand zu diesem Zeitpunkt fast nur aus Schule und Arbeit und ich hatte noch keinen Sinn darin gefunden. Mir war langweilig und ich war eher pessimistisch, was meine Zukunft anging. Ich dachte ich würde nun bis 65 oder bis dahin eher bis 75 durchgehend arbeiten und dann bald mal ins Gras beissen, ganz im Sinne der Gesellschaft. Dass man ein so abenteuerliches Leben führen konnte beeindruckte mich.

Jedenfalls änderte sich das Thema bald wieder und irgendwann verabschiedete sich das Ehepaar. Ich habe sie nie wieder gesehen, aber der Eindruck blieb.

Wie die Zeit vergeht...

Wie die Zeit vergeht…

Etwa einen Monat später suchte ich einen interessanten Film im Internet. Ich dachte wieder an das Ehepaar und wählte schliesslich einen Reisefilm namens Into the Wild.

Es gibt gute Filme und es gibt schlechte Filme und viele, viele irgendwo dazwischen. Aber dieser Film braucht eine eigene Skala.

Einerseits ist der Film wirklich gut gemacht: Gute Schauspieler, gute Filmmusik, wunderschöne Landschaftsbilder Amerikas. Andererseits, und das ist der wichtigere Punkt, hat mich Into The Wild so tief berührt wie es kein anderer Film und auch sonst nichts anderes je geschafft hat. Du kennst sicher das Gefühl, wenn du einen guten Film gesehen hast und danach denkst du noch eine Weile darüber nach und bist auch am folgenden Tag noch total fasziniert davon? Genau so war es bei mir auch bei Into The Wild, nur dass dieses Gefühl über drei Wochen anhielt.

Ich konnte mich in der Schule überhaupt nicht mehr konzentrieren, mehr als eine Note ging dafür drauf. Alles erschien sinnlos und überflüssig. Irgendwann fing ich mich dann wieder ein wenig, das Gefühl hörte auf. Oder besser gesagt es mündete in Fernweh, was mich bis heute nicht loslässt.

Die Folgen

Den ganzen Winter lang schmiedete ich Pläne für den Sommer. Ich wollte zu Fuss und per Anhalter bis nach Genua reisen und von da aus durch ganz Italien. Ich hatte schon eine ungefähre Route und probegepackt hatte ich auch schon. Mein Schulrucksack würde schon reichen, dachte ich. Meine Eltern wussten nichts davon, ich wollte das alleine machen und ich wusste, dass es meine Eltern sowieso verbieten würden. Also hielt ich meine Pläne geheim.

Mein vollbepacktes Fahrrad 2014

Mein vollbepacktes Fahrrad 2014

Doch als der Sommer kam, hatte ich (zum Glück) Angst vor dem Scheitern und vor den Konsequenzen, also verwarf ich meine Pläne.

Währenddessen wurde das Verhältnis in meinem Lehrbetrieb immer schlechter. Es war überhaupt nicht, was ich mir vorgestellt hatte und die Tage zogen sich in die Länge. Als ich es schliesslich nicht mehr aushielt, im Winter 2012/2013, erzählte ich meinem Chef davon. Er war immer freundlich zu mir gewesen, generell alle Leute in der Firma waren immer sehr nett. Trotzdem dachte ich lange darüber nach, ob ich nicht einfach die kommenden zweieinhalb Jahre noch durchstehen sollte.

Doch als ich ihm davon berichtete, waren wir uns einig, dass ich in diesem Betrieb wohl nicht mein Glück finden würde. Also suchte ich nach einer anderen Lehrstelle, diesmal als Applikationsentwickler, welche ich schlussendlich auch fand.

Gleichzeitig wollte ich aber immer noch nach Genua, mittlerweile mit dem Fahrrad. Doch auch diesen Sommer wurde daraus nichts, da ich bei meinem neuen Arbeitgeber nicht im Vornhinein als Psycho rüberkommen wollte.

Die neue Lehrstelle passte viel besser zu mir als die Alte. Ich lernte endlich was ich lernen wollte, nämlich Programmieren. Zwar hatte ich auch in der Berufsschule schon Programmieren, doch ich hab das nie wirklich gerafft. Erst mit der Praxis begann ich es richtig zu verstehen und es machte mir Spass.

Im Frühling 2014 war ich mit meiner Familie auf einer Kreuzfahrt von Italien bis nach Istanbul, was mein Fernweh ein winzig kleines Bisschen linderte. Ich wollte aber immer noch nach Genua, doch  jetzt hatte ich meinen Eltern davon erzählt und sie waren (natürlich) dagegen.

Canal Grande in Venedig 2014

Canal Grande in Venedig 2014

Sie brachten mich dazu die Idee komplett zu verwerfen, was vermutlich das Beste war. Sie schlugen vor stattdessen „ein paar Fahrradtouren in der Schweiz“ zu unternehmen. Aus „ein paar“ wurde bei dem schlechten Wetter eine, war aber trotzdem schön. Ich fuhr während drei Tagen von Neuenkirch nach Bern, dann nach Thun, Interlaken, Brienz. Von da mit der Bahn auf den Brünigpass und mit dem Fahrrad auf der anderen Seite wieder runter, über Stans nach Luzern und von da zurück nach Neuenkirch.

Den Rest des Sommers geisterte mir die Idee im Kopf rum nach der Lehre einen Sprachaufenthalt in Australien oder den USA zu machen. Ich wollte danach zurück in die Schweiz kommen, ein, zwei Jahre arbeiten und dann eine Weltreise machen. Je länger ich aber darüber nachdachte, desto mehr fragte ich mich: Wieso nicht gleich nach der Lehre auf Weltreise? Der Entscheid fiel dann Ende Oktober 2014 und seither bin ich am Vorbereiten.

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